Der Bundesjugendausschuss beim Steinbacher Forum.
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30.11.2017
Steinbacher Forum
Der Arbeitssoziologe Prof. Dr. Gerhard Syben zeigte auf dem sechsten STEINBACHER FORUM, wie sich die Forderungen der Arbeiterbewegung und den Gewerkschaften lange Zeit vor allem um Arbeitszeitverkürzung drehten.
„Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden Freizeit“. Diese Forderung ist schon von 1830. Der Fabrikant Owen verkürzte die Arbeitszeiten seiner Arbeiter/innen, weil er erkannte, dass sie dann produktiver arbeiten. Fast 100 Jahre hat es gedauert, bis der Acht-Stunden-Tag Wirklichkeit wurde. In Deutschland war es nach der Novemberrevolution 1918 soweit.

Mit der Umsetzung der 35-Stunden-Woche in den 1980-er Jahren veränderte sich die Arbeitszeitdiskussion jedoch für die Arbeitnehmer/innen in Deutschland. Es schlichen sich erste Vorboten der Flexibilisierung der Arbeitszeit ein, zum Beispiel verkürzte Mittagspausen oder verkürzte Samstage. Seitdem haben sich Überstunden, ungewollte Teilzeit, atypische Arbeitszeitlagen neben das Normalarbeitsverhältnis geschlichen.

Heute arbeiten um die 40 Prozent der Beschäftigten in der ein oder anderen Form flexibler Arbeitszeit. Arbeitszeiten entgrenzen, wie man so schön sagt. Das fängt damit an, dass Beschäftigte über ihre Pausen selbst entscheiden können, Einfluss auf den Beginn und das Ende der Arbeitszeit nehmen können und reicht bis zu Vertrauensarbeitszeit, Sabbaticals oder massiven Überstunden und Wochenendarbeit etc. - Tendenz steigend.

Mit einer Arbeitszeit, die zunehmend verschwimmt und in die private Freizeit hineinwirkt, wird eine wesentliche Errungenschaft des Acht-Stunden-Tags wieder aufgeweicht. Nämlich die Möglichkeit, nach der Arbeit Zeit zur Verfügung zu haben, über die jede und jeder selbst bestimmen kann.

Folgende Punkte sind nach Prof. Syben bei Betriebsvereinbarungen zu Arbeitszeitkonten zu beachten:

  • Limits (Wie viele Überstunden können dort geparkt werden?);
  • Vorrang Freizeitausgleich (Soll Geld fließen oder soll mit Zeit ausgeglichen werden?);
  • Zuschläge (Bleiben Zuschläge für Mehrarbeit im Arbeitszeitkonto erhalten?);
  • Ausgleichszeitraum (Wie zeitnah müssen die Überstunden durch Entgelt oder Zeit ausgeglichen werden?);
  • Regeln für Verwendung und Übertragbarkeit (Verfallen die angesammelten Überstunden irgendwann?);
  • Absicherung (Was passiert mit den Überstunden, wenn das Unternehmen insolvent geht?).

Arbeitszeiten und die planetaren Grenzen

Klassische gewerkschaftliche Gründe, sich für eine Regelung von Arbeitszeiten und auch eine weitere Arbeitszeitverkürzung einzusetzen, sind Gesundheit, die Verteilung von Arbeit und auch das Recht auf selbstbestimmte Lebenszeit. Prof. Dr. Angelika Zahrnt, heute Ehrenvorsitzende des BUND, lieferte mit ihrem Beitrag ein weiteres Argument: die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen.

Sie zeigte in ihrer Präsentation auf, dass es die Menschheit in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft hat, ihr wirtschaftliches Wachstum an die begrenzten Ressourcen anzupassen. Ozeane versauern, Böden werden unfruchtbar, Arten und Lebensräume verschwinden oder das Klima ändert sich. Immer mehr Rohstoffe werden unwiederbringlich verbraucht und Lebensräume unbelebbar gemacht.

Zwar verbrauchen viele Gerätschaften und viele Produktionsprozesse heute weniger Energie als früher. Aber dafür gibt es jetzt zahlenmäßig viel mehr Geräte. Die Globalisierung in Verbindung mit der digitalen Vernetzung führt zu mehr Mobilität und zu mehr Energieverbrauch.

Auch die Produktivität der Beschäftigten ist massiv gestiegen. Dazu tragen nicht zuletzt auch flexibilisierte Arbeitszeiten bei, die im ungeregelten Fall oft dazu führen, dass mehr und länger gearbeitet wird. Entsprechend wird länger und mehr Energie genutzt, es werden mehr Güter hergestellt und mehr Ressourcen verbraucht – vom Blatt Papier im Büro bis hin zu den vom Stapel laufenden Autos oder den stark gedämmten Neubauten.
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Teilnehmer/innen berichten über ihre Arbeitszeiten.

Angelika Zahrnt
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Prof.Dr. Angelika Zahrnt, BUND-Ehrenvorsitzende zu Arbeitszeiten und planetaren Grenzen

Wandel der Arbeitswelt: Indirekte Steuerung, Industrie 4.0 und Arbeitszeiten

Ende der 1970-er haben die Unternehmen begonnen, die Arbeit im Unternehmen neu zu organisieren. Mehr Teamwork bei gleichzeitigem Personalabbau, die Einführung von Zielvorgaben anstatt von Anweisungen, Vertrauensarbeitszeiten, Großraumbüros, etc.) fördern selbstbestimmtes Arbeiten, die persönliche Entfaltung und die Identifizierung mit dem Unternehmen. Die Produktivität der Beschäftigten steigt.

Die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung helfen, die Arbeit im Unternehmen und im Betrieb so zu organisieren, dass die Beschäftigten den Eindruck haben, mehr Freiheiten zu genießen und jederzeit von überall arbeiten können. Damit sind sie jederzeit einsatzbereit, um zum Wohl ihres Unternehmens beizutragen. Die Produktivität der Beschäftigten wird auch hiermit gestützt.

Flexible und entgrenzte Arbeitszeiten sind ein wichtiger Baustein der Arbeitsorganisation im Unternehmen und sind von der Digitalisierung stark beeinflusst. Wenn der Job auf Arbeit nicht fertig wird, dann halt zu Hause, das Internet macht es möglich. Die Produktivität der Beschäftigten steigt auch damit.

Der Treiber hinter all diesen Veränderungen ist die Gewinnmaximierung. Doch von diesen Gewinnen und den Vorteilen flexiblen Arbeitens kommt flächendeckend bei den Beschäftigten bisher nicht viel an. Stattdessen beobachten wir steigende Krankenstände, mehr psychische Erkrankungen auf Grund von Stress und Verdichtung. Das muss und darf nicht so bleiben.

Das bedeutet nicht, dass flexiblere Arbeitszeiten nur schlecht sind. Denn Beschäftigte haben durchaus den Wunsch, mehr Einfluss darauf zu nehmen, wann sie arbeiten. Es bedeutet vor allem, dass die Beschäftigten mit den Gewerkschaften gemeinsam, klare Vorstellungen von ihren Lebens- und Arbeitszeiten entwickeln sollten. Damit können dann Arbeitszeitmodelle umgesetzt werden, die nicht nur die Produktivitäts- und Gewinnansprüchen der Arbeitgeber/innen bedienen, sondern auch ihnen selbst zu Gute kommen und zu mehr Lebensqualität beitragen.

Das heißt: Die Rahmenbedingungen entscheiden, ob flexibles Arbeiten belastend ist oder nicht.

Doch wer ist für die Rahmenbedingungen zuständig? Neben dem Gesetzgeber sind das die Mitglieder der Gewerkschaften und die Betriebsräte in den Betrieben, die über Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen klaren Regeln gemeinsam mit den Beschäftigten erringen können – immer unter der Voraussetzung: Das Leben ist endlich und kann nicht auf später aufgeschoben werden. Zeit zum Leben neben dem Arbeiten ist JETZT.

Ein Beitrag unserer Kollegin Lisa Bauch.

Die Beiträge der Gastreferenten werden in voller Länge in der Begleitbroschüre Steinbacher Forum veröffentlicht. Kontakt unter: [Bitte aktivieren Sie Javascript]