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100 Jahre Frauen in der Baugewerkschaft

Bundesfrauenarbeitstagungen: 1987 tagte die 1. Bundesfrauenkonferenz.
(Foto: IG BAU Archiv) Bundesfrauenarbeitstagungen: 1987 tagte die 1. Bundesfrauenkonferenz.
31.08.2023
Frauen

Frauen konnten sich in Deutschland ab 1908 gewerkschaftlich organisieren. Der Deutsche Bauarbeiterverband vertrat allerdings in seiner Mitgliederzeitschrift "Der Grundstein" die Position, dass "die Frauen wegen der Schwere der Arbeit und der damit verbundenen sittlich-sanitären Gefahren nicht auf Bauten gehörten" und verwehrte ihnen die Mitgliedschaft.

Am 1. Januar 1923 wurde der Deutsche Baugewerksbund durch Zusammenschluss von drei Verbänden gegründet. Als letzte Gewerkschaft im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund nahm er auch Frauen als Mitglieder auf.

Zehn Jahre später zerschlagen die Nationalsozialisten die freien Gewerkschaften, inhaftieren und ermorden viele Funktionäre. Frauen werden auf ihre Mutterrolle reduziert, sollen "stählerne, kampfbereite Nachkommen" produzieren. 

Von 1938 bis 1994 gibt es ein Beschäftigungsverbot von Frauen im Bauhauptgewerbe, nur unterbrochen in den letzten Kriegsjahren und in der Nachkriegszeit. Auch noch in den 1970er-Jahren spricht sich die IG Bau-Steine-Erden (IG BSE) für die Aufrechterhaltung des Verbotes aus – aufgrund von Arbeitsschutz, fehlenden Toiletten und Witterungsbedingungen. Bis heute halten sich Klischees, Vorbehalte und Männerbünde hartnäckig. Trotz Werbung der Bauindustrie ist das Baugewerbe mit einem Frauenanteil von 13 Prozent das absolute Schlusslicht.

Frauen erobern Positionen

Anders verlief die Entwicklung in der DDR. Die Arbeit von Frauen am Bau wurde gewünscht und staatlich gefördert. 1989 waren 23 Prozent aller im Bauwesen Beschäftigten Frauen.

Bei der Gründung der IG BSE 1949 liegt der Frauenanteil bei einem Prozent. Nur ungern schicken die Funktionäre ihre Verwaltungsangestellten in die DGB-Frauengremien. Ab Ende der 1970er-Jahre steigt die Zahl der weiblichen Mitglieder sprunghaft. Die Gebäudereinigerinnen werden zur absolut stärksten Gruppe innerhalb der Frauen.

Die Frauenbewegung formiert sich langsam und fordert frauenspezifische Werbung und Schulung. Ein Antrag an den Gewerkschaftstag 1969 nach Verankerung der Frauenarbeit in der Satzung wird abgelehnt. Weibliche Delegierte gibt es nicht. Bei den ersten Bundesfrauenarbeitstagungen 1979 und noch stärker 1983 wird die Forderung nach einer hauptamtlichen Frauensekretärin laut.

18 Monate später wird Irmgard Meyer für diese Aufgabe, die bislang Männer übernahmen, eingestellt. Im gleichen Jahr werden die Frauen beim Gewerkschaftstag 1985 selbst antragsberechtigt. Sechs Jahre später wird Irmgard Meyer in den Bundesvorstand gewählt.

1987 findet die erste Bundesfrauenkonferenz statt. Ihre Anträge erweitern das Themenspektrum um zahlreiche gesellschaftspolitische Fragen, aber auch in die Tarifforderungen werden frauenspezifische Ansätze eingebracht. Der Frauenanteil steigt weiterhin. Heute ist jedes dritte erwerbstätige Mitglied in der IG BAU weiblich. Gegen viele Widerstände haben sich die Frauen ihren festen Platz in der Männerdomäne erkämpft. Trotz Quote und etlichen haupt- und ehrenamtlichen Funktionärinnen ist aber auf dem Weg zu einer tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter noch einiges zu tun. 

Text: Sylvia Honsberg
Der Beitrag ist ursprünglich in der Sommer-Ausgabe des Grundstein erschienen.

Irmgard Meyer wird die erste Bundesfrauensekretärin und später Bundesvorstandsmitglied
(Foto: IG BAU Archiv) Irmgard Meyer, erste Bundesfrauensekretärin und späteres Bundesvorstandsmitglied.