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App statt Zettel: Die digitale Arbeitszeiterfassung auf dem Bau im Praxistest

Mann hält Smartphone in den Händen
(Foto: Malte Helmhold / Unsplash)
23.11.2023
Arbeit

Groß war die Aufregung als der Europäische
Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2019 ein wegweisendes Urteil für Arbeitgeber*innen und ihre Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit fällte. Die Stechuhr kommt zurück! Dabei ist die Arbeitszeiterfassung auf dem Bau nichts Neues. Manche Kolleginnen und Kollegen führen ein Tagebuch, andere arbeiten mit Wochenzetteln.

Bei der Diskussion über die Urteilsverkündung wurde ein Aspekt fast gar nicht beachtet: Zu lange Arbeitszeiten führen zu berufsbedingten Erkrankungen und bei Überstunden steigt das Unfallrisiko. Beides kann nur verhindert werden, wenn Arbeitszeit ordentlich dokumentiert wird.

Zeit der Zettelwirtschaft ist vorbei

Spätestens aber mit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2022 besteht in Deutschland nun die Pflicht zur systematischen Erfassung der gesamten Arbeitszeit.

Im April dieses Jahres legte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil einen Gesetzentwurf zur konkreten Umsetzung der Urteile des EuGH und BAG vor. Auch wenn das Gesetz noch in Bearbeitung ist, wird es wohl auf eine Art der elektronischen Arbeitszeiterfassung hinauslaufen. Während die Politik noch über die Einzelheiten beratschlagt, ist der Bau hier schon einen Schritt weiter.

Volkswirtschaftlicher Schaden durch falsch gemeldete Arbeitszeit

Denn dass etwas passieren muss, ist offensichtlich und hat nicht nur mit den gesetzlichen Vorgaben zu tun. Unangemeldete oder absichtlich falsch gemeldete Arbeit ist nach wie vor ein riesiges Problem in der Bauwirtschaft. Nach Berechnungender SOKA-BAU entgehen dem Staat jährlich 126 Milliarden Euro alleine durch Schwarzarbeit auf dem Bau. Kontrollen und Razzien wirken da nur punktuell, weil die Behörden, wie der Zoll oder die Deutsche Rentenversicherung, die Daten nicht in Echtzeit, also direkt in den Betrieben oder auf der Baustelle überprüfen können. Außerdem können Stundenzettel in Gerichtsverfahren nachgereicht werden und sind nicht fälschungssicher.

Pilotprojekt zur Arbeitszeiterfassung per App

Die Sozialkasse des Berliner Baugewerbes (SOKA-Berlin) hat sich zusammen mit dem German Deep Tech Institute Gedanken gemacht, wie zum einen die gesetzlichen Vorgaben am Bau in der Praxis umgesetzt und gleichzeitig der Betrug mit falschen Zeitangaben bekämpft werden kann. In der aktuellen Pilotphase wird die digitale Arbeitszeiterfassung per TimeSec App in verschiedenen Baubetrieben getestet. Beschäftigte können sich über das Smartphone digital ein- und ausstempeln sowie ihre bereits erfassten Zeiten einsehen und anpassen. Die ursprünglich angegebene Zeit bleibt dabei im System hinterlegt und wird miteinem Kommentar versehen. So bleibt die Änderung für die Lohnbuchhaltung nachvollziehbar.

Das GPS-Signal verzeiht keine Verspätung

Doch was denken die Beschäftigten über das Ein- und Ausloggen per App? Um diese Frage zu klären, hat die Grundstein-Redaktion eine Baustelle im Berliner Stadtteil
Wedding aufgesucht und mit Beschäftigten des Pilotunternehmens WST-Bau Schulte gesprochen. Vier Meter unter der Erde in den Katakomben der Osram-Höfe zieht Kollege Senning Mauern hoch und verbaut neue Brandschutztüren. Da drängt sich zuerst eine Frage auf, funktioniert die App überhaupt unter der dicken Betondecke und den Stahlträgern? "Hier im Pausenraum haben wir Empfang. Wenn das mal nicht klappen sollte, dann ruft man eben in der Firma an und meldet, dass es mit der Verbindung nicht geklappt hat." Wer sein privates Smartphone benutzt, erhält dabei eine Aufwandsentschädigung, einzelne Kollegen benutzen auch ein Dienstgerät. Sobald er pünktlich um sieben Uhr morgens auf der Baustelle ankommt, loggt sich Kollege Senning ein. Sein Smartphone stellt in diesem Moment eine GPS-Verbindung her und registriert seinen Standort im System. 

Beschreibung der BauSec App
(Grafik: Sozialkasse des Berliner Baugewerbes)

"Für andere, die kurz auf knapp kommen, wird es schwieriger." Vor allem, wenn die Bahn mal wieder Verspätung hat. "Durch das GPS sieht man eben genau, war er auf der Baustelle oder drei Straßen weiter." Ansonsten findet die App aber viel Akzeptanz in der Firma, vor allem unter den jungen Kollegen. Trotzdem war es erstmal eine Umgewöhnung vom Wochenzettel, den er früher am Freitagnachmittag mit Arbeits- und Pausenzeiten ausgefüllt hat. "Jetzt muss ich mich immer ein- und austragen. Vor dem Frühstück, nach dem Frühstück, vor der Mittagspause, nach der Mittagspause." Hier bei der Firma habe er auch schon mit der Stundenerfassung auf Papier keine Probleme gehabt, aber jetzt habe man den Nachweis immer digital in der Tasche und das sei wichtig, gerade bei Firmen mit einer schlechten Zahlungsmoral.

Berlin, die "Hauptstadt der Teilzeitmaurer"

"Der Kampf gegen Schwarzarbeit ist ein ganz klares Ziel. Wir als ehrliche Betriebe möchten diese illegalen Aktivitäten mit der digitalen Zeiterfassung bekämpfen", sagt Eckhard Schulte, Geschäftsführer von WST-Bau Schulte. So arbeiten in Berlin auffällig viele Maurerinnen und Maurer in Teilzeit und das nicht etwa, um der Kinderbetreuung nachzugehen, sondern weil so weniger Arbeitsstunden gemeldet werden können. Arbeitsstunden, für die sonst Steuerabgaben, Sozialversicherungsbeiträge und Abgaben an die Sozialkasse des Baugewerbes fällig wären. Nach Auswertungen der Berliner Sozialkasse betrug die nicht gemeldete Bruttolohnsumme von 2017 bis 2021 circa 432,1 Millionen Euro, wenn man von einer 90-prozentigen Auslastung der Betriebe ausgeht. Ob die elektronische Arbeitszeiterfassung die Schwarzarbeit effektiv eindämmt, hängt vor allem damit zusammen, welche Zugriffsrechte die Kontrollbehörden auf die Daten erhalten. Kollege Senning ist da noch skeptisch: "Ich bin fast vierzig Jahre auf dem Bau. Es gibt genug Leute, die bescheißen wollen und die lassen sich auch etwas einfallen." Fest steht jedenfalls, dass es schwarze Schafe in Zukunft deutlich schwerer haben, während die Arbeitsabläufe in den Betrieben vereinfacht werden. Und das ist letztlich ein Vorteil für alle Beteiligten.

Text: Tobias Wark
Der Beitrag ist ursprünglich in der Oktober-Ausgabe des Grundstein erschienen.